weltspiegel
Chinas Wachstumsmotor stottert, und das bekommen gerade junge Menschen zu spüren. Exzellent ausgebildet, bleibt ihnen oftmals nur die Flucht aufs Land – oder der Billiglohnsektor.
In den chinesischen Sozialen Medien posteten dieses Jahr Uni-Absolventen Fotos von sich: Die einen liegen flach in ihrer feinen, langen Abschlussrobe auf der Straße, die anderen werfen das Examenszeugnis weg. Sie sind frustriert, denn ab jetzt geht es in eine ungewisse Zukunft.
Für junge Menschen mit Hochschulabschluss in China ist es zunehmend schwer, einen passenden Job zu finden. Einer von fünf Menschen zwischen 16 und 24 Jahren ist ohne Arbeit. In diesem Sommer strömen 11,6 Millionen junge Hochschulabsolventen neu auf den Arbeitsmarkt – doppelt so viele wie noch vor zehn Jahren.
Jahrzehntelang wuchs Chinas Wirtschaft rasant. Wachsender Wohlstand führte zu sozialem Aufstieg, mehr Menschen konnten studieren. Doch jetzt gibt es für die Hochschulabsolventen nicht genügend Jobs.
“Warum funktioniert das auf einmal nicht mehr?”
Es sei das Ende des chinesischen Wirtschaftswunders, so beschreibt es der chinesische Sozialanthropologe Xiang Biao, der am Max-Planck-Institut für Ethnologie in Halle an der Saale zur gesellschaftlichen Transformation in China forscht.
Die Wirtschaft wächst langsamer, die Gründe dafür seien vielfältig: die strikte Null-Covid-Politik während der Corona-Pandemie, ein schwacher Konsum, der Einbruch des chinesischen Außenhandels in Folge eines schwachen Weltmarktes durch den Krieg in der Ukraine, die Immobilienkrise, das Durchgreifen des Staates in der Tech-Industrie.
Die jungen Menschen verstehen nicht, warum das Wohlstandsversprechen nicht mehr gilt. Für sie ist klar, dass wenn man hart arbeitet, fleißig studiert und all die Fähigkeiten hat, die es braucht, dass man dann gefragt ist. Oder etwa nicht? Warum funktioniert das auf einmal nicht mehr?
Heimlich als Lieferdienstfahrer unterwegs
Für viele junge Bachelor-Absolventen führt diese Entwicklung dazu, dass sie einfach weiter studieren. In Beijing gibt es dieses Jahr zum ersten Mal mehr Grasp- und Dissertations-Abschlüsse als Bachelor-Abschlüsse.
Millionen bewerben sich für den Staatsdienst. Andere wiederum ziehen wieder bei ihren Eltern ein oder sie nehmen Niedriglohnjobs an. Schätzungen zufolge haben bei Meituan, einem der größten chinesischen Essens-Lieferdienste, einer von fünf Fahrern einen Hochschulabschluss.
Ein 24-Jähriger in Shanghai ist einer von ihnen: “Ich konnte nach dem Abschluss lange keinen passenden Job finden und hatte auch kein Einkommen”, sagt der junge Chinese language. “Als ich dann die Stellenanzeige als Lieferdienstfahrer sah, schien mir das recht lukrativ.”
Er möchte gerne unerkannt bleiben. Denn Freunde und Familie wissen gar nicht, dass er diesen Job macht. Er schämt sich. 37 Euro hat er an einem Tag verdient. Dabei hat er eigentlich Statistik studiert. Seine Eltern glauben, dass er nach seinem Abschluss ins chinesische Finanzzentrum Shanghai gegangen ist, um dort einen Bürojob zu machen.
Raus aus der Stadt aufs Land
Die chinesische Staats- und Parteiführung hat ihre eigene Antwort auf die Jugendarbeitslosigkeit. Sie möchte junge Menschen dazu bewegen, aufs Land zu ziehen – raus aus den Städten, in denen es nicht ausreichend Jobs gibt.
Dadurch sollen auch ländliche Gebiete wirtschaftlich wiederbelebt werden. Denn das Wohlstandsgefälle zwischen Stadt und Land ist in China sehr groß.
Es gibt zahlreiche Regierungsprogramme, um junge Menschen zum Arbeiten aufs Land zu schicken. Die 22-jährige Zhang Yuxin nimmt aktuell im chinesischen Landesteil Jiangsu an einem solchen teil. Sie strotzt vor Nationalstolz, hat den Landwirten bei der Saat und Ernte geholfen und arbeitet bei einer lokalen Dorfverwaltung mit. Später will sie weiter vielleicht im Staatsdienst arbeiten.
“Ich denke, das Downside der Jugendarbeitslosigkeit ist sehr ernst. Besonders nach drei Jahren Corona sind viele Unternehmen pleite gegangen oder mussten Stellen abbauen”, sagt sie. Das Regierungsprogramm könne ein Sprungbrett für junge Menschen sein.
Maßnahmen wie unter Mao
Die Maßnahmen erinnern an die Kulturrevolution Ende der 1960er-Jahre, als Millionen junge Menschen gezwungen wurden, aufs Land zu gehen, um dort zu arbeiten. Damals habe das gegen die städtische Arbeitslosigkeit geholfen, sagt Wang Dan, Chefökonomin der Cling Seng Financial institution in Shanghai. Doch heute sehe die Scenario ganz anders aus.
Die jungen Leute in China haben keine Lust mehr, auf dem Land zu leben oder Landwirtschaft zu betreiben. Außerdem ist die moderne Landwirtschaft kein Geschäft, in das jeder einsteigen kann. Sie erfordert eine Ausbildung und spezielle Fähigkeiten.
Die Löhne auf dem Land seien in China immer noch viel niedriger als in den Städten, so Wang Dan weiter. Es fehle zudem an einem modernen Lebensstil. Einige könnten mit On-line-Streaming Geld verdienen und lokale Produkte über die App TikTok verkaufen. “Aber die Mehrheit der jungen Leute möchte nicht auf dem chinesischen Land leben.”
#fulltimechildren statt auf eigenen Beinen
Bei den Eltern zu leben, ist eine andere Sache. Manche, die vergebens einen Job suchen, zieht es auch ohne staatlich finanzierte Programme wieder zurück zu ihren Eltern aufs Land.
Durch die chinesischen Sozialen Medien geisterte dies mit dem Hashtag “fulltimechildren” – “Vollzeitkinder”. Sie helfen dann im Haushalt, zeigen zu Hause, dass sie arbeiten können und bekommen häufig von ihren Eltern Unterkunft, Essen und Geld.
Doch nicht alle können sich das vorstellen. Immerhin hätten ihre Eltern sie nicht zur Uni geschickt, damit sie wieder aufs Land zurückkommen, heißt es dann. Für viele ist die moderne Stadt, verbunden mit dem sozialen Aufstieg, immer noch das Traumziel.